thomas engelskirchen, zwei bilder (2023)


 

Ein langes Sitzmöbel in braunem Leder in einem großen Raum. Der Raum ist leer und kalt. Eine graue (Beton)Wand, ein spiegelglatter grauer Boden. Viel Grau in diesem leeren Raum, nur verschiedene Helligkeitsnuancen des Grau. Als einziger Kontrast dazu das warme Braun des ledernen Sitzmöbels, auf das ein schwaches Tageslicht fällt.

 

Ein kaltschönes Foto. Ein wunderbares Beispiel für minimalistische Fotografie. Dafür, wie eindrucksvoll die Inszenierung des Wenigen ist. Wie wirksam für das, was man eigentlich zeigen will. Wie wenig es braucht, um ein perfektes Kunstwerk zu schaffen. Wie schwer es oft ist, dieses Wenige zu finden. Und wie wichtig dabei der leere Raum ist.

 

Es ist die magische Verwandlung des architektonischen in den ästhetischen Raum. Im ästhetischen Raum der Fotografie hat es das Sujet nur mehr mit den Seitenverhältnissen zu tun: Rechteck oder Quadrat. Der Fotograf kann es links platzieren,- was unsere Sehgewohnheiten unterläuft; in der Mitte- extrem langweilig; im Goldenen Schnitt, was ideal, aber manchmal auch etwas langweilig oder vorhersehbar sein kann.

 

Hier das Sitzmöbel in braunem Leder am rechten Rand ist auch nicht im Goldenen Schnitt- und dennoch perfekt für das Bild und das Sujet. Es steht so großartig am Rand in dem leeren Raum. Es ist DA in einer unheimlich diskreten Präsenz. Es ist da- und gibt zugleich den Raum frei. Es schafft einen Freiraum. Für uns, die es so sehen in diesem von Thomas Engelskirchen geschaffenen Bildraum.

 

Das Vergnügen, die Lust zu sehen, die mir minimalistische Bilder und vor allem das von Thomas Engelskirchen verschaffen, kommt von dieser Freiheit. Es ist die Erfahrung einer optischen und mentalen Reinigung, Entleerung, Levitation. Das berauschende Gefühl einer Klarheit und Reinheit. Wie die ersten Atemzüge an der frischen Luft nach einem Sommerregen.

 

Und ich beginne, das Sujet zu SEHEN, an sich und für sich, vielleicht anders, vielleicht neu.

 

 

 

 

Seit der Romantik hat das Fernweh einen Namen: die Blaue Blume. Um sie rankt sich auch die Sehnsucht nach einem anderen Leben anderswo, nach einer Erhöhung des Lebens, mit anderen Worten: Poetisierung des Lebens. Dass man der Farbe Blau manchmal auch die Hoffnung unterlegt hat, kommt vielleicht auch daher.

 

Das Blau der Blauen Blume hat seit der Romantik verschiedene Schattierungen angenommen. Bei Mörike war es noch das „blaue Band“ des Frühlings. Bei Georg Trakl ist es dann schon sehr herbstlich eingefärbt, zwar noch ein „reines Blau“, aber es hat schon einen unheilvollen Unterton in den „blauen Augen der Liebenden“, wenn dahinter der „schwarze Tau tropft von den kahlen Weiden“.

 

Ich weiß nicht, ob Thomas Engelskirchen ein Romantiker ist oder sich romantisch empfindet.

 

Viele seiner Bilder oder fast alle sind in ein blaues Licht getaucht. Aber es ist ein anderes Blau als das hoffnungsvolle der Romantik, anders auch als das herbstlich reine von Georg Trakl. Das Blau von Thomas Engelskirchen ist eher das Blau des Abends, wenn nicht ein Blau der Nacht. Es ist, wäre da nicht eine schmale Lichtzone, ein Blau, bevor es ziemlich dunkel wird, bevor etwas zu Ende geht.

 

Dieses dunkle Restblaulicht nimmt den Dingen: Natur, Architektur, Interieur- ihre scharfen Konturen und verleiht ihnen eine geheimnisvoll samtige Anmutung. Blue velvet. Also nicht Weltuntergang, sondern den Schleier der Melancholie.

 

 

Paul Adam