logbuch 2021

miesbach, 10.dezember 2021

 

ausstellung

Wozu ausstellung?, antwortete ich einer fotofreundin vor gut zwei jahren, die unvermittelt angefragt hatte, ob ich nicht mit ihr fotos ausstellen wollte. wo? hier in der klinik, die regelmäßig kunstausstellungen zeige.

nein, ich mache keine ausstellung mehr, sagte ich. seit einem jahr hatte ich die homepage, veröffentlichte zudem meine neuen bilder in der fotocommunity. beides sei doch eine prima möglichkeit, seine fotos einer öffentlichkeit zu zeigen, die weit größer und breiter sei als die des hiesigen publikums. der ganze aufwand!!! fotos drucken, kaschieren, rahmen, die hängung... wozu? für das bisschen öffentliche anerkennung, das bisschen wirkung der bilder außerhalb der eigenen vier wände? und nachher stapeln sich die arbeiten im speicher. nein, wirklich nicht.

ich war mir so sicher, dass ich das nicht mehr wollte!

im frühsommer 2020 die gelegenheit, im kulturzentrum in miesbach auszustellen. im herbst dann terminvereinbarung: januar 2022. die zweite corona-welle war gerade in ihren anfängen. ich war fast sicher, dass in der zeit bis zur ausstellung alles vorbei sein würde. endgültig.

nun sind wir auf dem vorläufigen höhepunkt der 4. welle, die neue omicron- variante verbreitet sich wie im lauffeuer, der waitzinger keller hat seit anfang november vorläufig bis kurz vor der ausstellung den veranstaltungsbetrieb geschlossen.

aber ich habe vor einiger zeit beschlossen: ich mache die ausstellung trotzdem. es wäre nicht die erste absurde, eigentlich aussichtslose aktion meiner  kreativabteilung! allerdings eine ziemliche steigerung von don quijoterie!!! aber vielleicht schon deshalb reizvoll.

natürlich ist es ein großer luxus, wenn man nicht von den erzeugnissen seiner kunst leben muss , den finanziellen misserfolg von vornherein kalkulieren kann. nur den finanziellen? ich glaube, dass unter den gegebenen bedingungen (corona-regeln) nicht mehr als ein paar dutzend leute die ausstellung sehen werden. warum also trotzdem und entgegen meiner erklärten absicht, diese ausstellung?

vielleicht ist es neben der eitelkeit vor allem der wunsch, eine arbeit zu realisieren, die  mehr ist als das einzelne bild oder eine serie von bildern, eine große erzählung: nicht kurzgeschichte, sondern roman. mehr auch als das nebeneinander einiger gelungener arbeiten. auswahl, konzeption, komposition, materialisierung (welches format, welche drucktechnik), die komposition im raum... das alles fügt sich erst in der ausstellung zu einer eigenen GESTALT- welche die arbeiten ohne diesen rahmen nicht hätten.

 



 

 

miesbach, 25.oktober 2021

nachhall des sommers: toscana. großartige landschaftsbilder. man kann nicht umhin, die kamera zu nehmen. die ganz eigene formensprache dieser landschaft: die weiten weichen hügel, die rechtecksformen der felder und wiesen- das alles in diesem leicht milchigen licht. fast immer steht auf einem dieser hügel eine fattoria, zu der eine kleine von schlanken zypressen gesäumte straße führt.

 

herbst. herbstlicht. herbstbilder, die ich in diesem jahr nicht mache: laub, bäume, wiesen, hügel, berge... das alles ist wunderbar anzuschauen, aber ich möchte es nicht mehr fotografieren. es fehlt mir die fantasie, wie man das anders sehen könnte. also enthaltung. schade. dabei habe ich oft erlebt, dass der andere blick erst mit der kamera entsteht.

 

stattdessen: ausstellungsvorbereitungen, abzüge bestellen, kaschieren, rahmen herstellen, konzept überdenken, modifizieren. es ist nicht nur ein finanzieller aspekt, das alles selbst zu machen. vielmehr: erweiterung des operationsfeldes.  der kreative akt ist ja nicht nur der moment, in dem das foto entsteht und die entwicklung/bearbeitung; genauso wichtig erscheint mir auch die auswahl, die wahl des formats, der druck, die präsentation/rahmung, die konzeption eines projekts, einer ausstellung. Und im vorfeld die suche und wahl der locations, die vorbereitung, anfragen, anträge bei ämtern...

man vergisst das vielleicht manchmal, wenn man ein foto in einer ausstellung sieht und  dazu den preis, der einem zu hoch vorkommt. und man vergisst vermutlich auch, wie bei jeder anderen künstlerischen arbeit die vielen bilder, die der autor gemacht hat oder nicht, um zu diesem bilde zu kommen.

 

statt herbstfotos wieder streifzüge. z.b. in der bmw-welt in münchen, deren architektur spektakulär ist. in dieser mischung aus konzept, design und futurismus, das ja auch das image des unternehmens ausmacht. umso schwieriger, dort passable fotos zu machen und nicht nur details dieses chicen designes zu reproduzieren. am ende aber doch ein tolles shooting an einem schönen und leuchtenden herbstnachmittag.

stattdessen und wie als kontrast zur bmw-welt eine augen-schein-tour mit ana im werksviertel in münchen. und hier in einer ganz anderen und eigenartigen mischung aus futuristischer architektur, kreativwerkstätten und subkultur. hochglanzarchitektur und graffitys. nischen alternativer kreativität und co-working spaces.

ein highlight: ein großes graffity von sergey akramov.

 



 

miesbach,  5.oktober 2021

ende des sommers, ende der sommerpause, ende der bilderpause. photographical detox. es ist einfach notwendig von zeit zu zeit: sehen ohne kamera (wenn auch schwierig), rückzug aus dem bildergeschäft, nachdenken, zurückdenken, pläne schmieden, anderes machen, z.b. urlaub, sonne, meer...

oder kritzelarbeiten, z.b. eine art bildertagebuch, das die typischen tagesbilder aus den medien aufgreift und sie mit der immergleichen folie, einer art jalousie überzieht. "gestrichene bilder". das werk des künstler jürgen krause besteht seit jahren darin, jeden tag ein kariertes blatt zu zeichnen. die linien, die er zeichnet, sind natürlich auch die suche nach der schönen, nach der vollkommenen linie-  aber sie sind für ihn nur der letzte akt seiner kreativen arbeit, zu der genauso die vorbereitung der stifte, das atmen, die konzentration gehören. ich fand die radikaltät seiner arbeit bewundernswert und habe mir von ihm die idee der linie als zeichnerisches projekt geliehen. ich bin jürgen krause für diese entdeckung sehr dankbar! sind doch die inien einerseits eine dankbare und produktive arbeit: nulla dies ... andererseits sind sie eine neue variante der übermalungen und erfüllen als ästhetischer kommentar zu den ereignissen, welche die bilder zeigen, eine doppelte aufgabe: sie "verhüllen" das gezeigte und geben es andererseits, wie der blick durch eine jalousie, wieder frei.

 

bilder und titel

titel sind meiner meinung nach für bilder ungeheuer wichtig. egal, ob für pressebilder, malbilder oder fotos. sie können ein ernster, ironischer oder poetischer kommentar zu dem bild sein, vielleicht ein lese- oder deutungshinweis, vielleicht auch eine assoziation, die dem bild eine weitere bedeutung verleiht.

die suche nach einem guten titel birgt allerdings auch gefährliche fallen. titel, die rein deskriptiv sind ober selbstredend erweisen dem bild einen zweifelhaften dienst, auch wenn es noch so gut ist. hinter der einfalt lauert die prätention. den gleichen effekt erreichen titel, die aus der entgegengesetzten intention kommen und dem schönen, aber doch harmlosen bild,  viel zumuten, zu viel, "über" die maßen viel: "über glück",  "von wertigkeit", "über optimsmus", "über wahrnehmung" etc.

alle diese titel, die das bild "über" die maßen mit bedeutung aufladen wollen, als wäre das bild ein essay. wo es doch nur ein zeichen ist, ein schönes, vielleicht auch ein wichtiges, das auf etwas wichtiges hinweisen will, zum denken anregen will.

aber vermutlich ist dieser trend auch dem medium, der community und der bilderflut geschuldet: man will sich nicht auf die qualität des bildes verlassen und versucht es mit einem hochtrabenden titel aus dem bildermeer heraus zu hieven.

 

 

 

 

 

 



 

miesbach, 7.juni 2021

 

silent places III

 

neue silent places: steinbrüche solnhofen (anfang april), stadtbad augsburg (ende april), autobahnbrücke weyarn (anfang mai), wertachbrücke augsburg (mitte mai). die letzten (autobahnbrücke, wertachbrücke) waren alles andere als "silent", im gegenteil. dennoch der eindruck von stille, schweigen: weil ohne menschen!

die serie geht weiter. möglich wäre: wasserschloss thalham. wasserreservoir münchen. oder: ich hörte mal im radio ein feature über einen riesigen notschutzbunker in nürnberg. auch das wäre eine möglichkeit.

mit den silent places kommt auch ein neuer faktor ins spiel: das kalkül, die gezielte auswahl der bilder- im gegensatz zum charme des flanierens mit der kamera, den subtilen jagden, den expeditionen in unbekannte viertel. mit ihrem ganzen potential der objets trouvés, der zufälle, der überraschenden ein- und augenblicke.

jedoch hat auch die fokussierung ihren charme und ihre vorteile. etwa die sensibilierung für bestimmte perspektiven, die richtung oder gerichtetheit des blicks. zudem: die entdeckung, wenn ein sujet anfängt, gestalt anzuhehmen. wie beim schreiben: der unterschied zwischen einer erzählung und einem roman. ich habe jetzt eine präzisere vorstellung davon, was die silent places werden könnten!

 

dazwischen: entdeckungen, "begegnungen" mit großen fotografen: vincent munier (im märz im tv) und sebastiao salgado (im mai ausstellung in münchen im kunstfoyer der bayerischen versicherungskammer).

 

munier, der mich ungeheuer beeindruckt hat: seine große liebe zu den tieren, zur natur, dabei aber auch große diskretion: er "stellt" die tiere nicht, er führt sie nicht vor, er nähert sich ihnen mit demut;  seine ästhetik der "begegnung" mit den tieren (nicht jagd oder beute!), die große schönheit seiner fotografien...

 

auf der anderen seite s.salgado, von dem ich bereits wim wenders film "das salz der erde" kannte. jetzt also seine fotografien im original, viele in großem format auch. beeindruckend, erschütternd, manchmal überwältigend. etwa das gesicht eines flüchtlingskindes am rand eines feldes, dem das ganze elend dieser existenz ins gesicht geschrieben ist, auf der anderen seite die portraits von flüchtlingskindern, die eine ungeheure würde ausstrahlen- vielleicht, weil der fotograf, der sich ihnen mit sympathie und seinem mitgefühl zuwendet, ihnen diese würde für einen augenblick zurückgibt. und dann: immer wieder lager, flüchtlingsströme, ausbeutung, genozid. viele dieser bilder zeigen ein großes pathos, sind in ihrem licht oder in der fotografischen gestaltung "überhöht". aber kann man salgado vorwerfen, dass er das elend zu sehr ästhetisiere?

ich glaube nicht, auch wenn in  manchen fällen die "reine" dokumentation (falls es das gibt) die not genauso wirkungsvoll darstellen mag.

 

 

 

 



miesbach, 14.april 2021

 

silent places II

 

auf der suche nach weiteren silent places. mit einem mal und aus unerfindlichen gründen drängen sich mir bilder leerer hallenbäder auf. vielleicht weil ich kurz zuvor in meinem archiv geblättert und dort die fensterbilder des hallenbades im gögginger stadtpark wiedergesehen hatte: die großen und vom kalk fast blinden fenster, geheimnisvolle meerlandschaften.

mir fällt das müllersche volksbad in münchen ein. dann: altes stadtbad augsburg. als kind waren wir manchmal mit der schule dort schwimmen. ein schönes bad: jugendstil.

ich kontaktiere die stadt augsburg und erfahre, man kann des bad für fototermine buchen: € 30.- die kleine halle, € 40.- die große, jeweils pro stunde.

es geht alles sehr schnell und unbürokratisch. einen tag später empfängt mich die nette leiterin das alten stadtbades, führt mich durch die verschlungenen gänge, zeigt mir die beiden schwimmhallen, die sauna und die ruheräume.

es ist wie der eintritt in eine andere welt. eine zeitreise zudem. ein übergang in eine andere dimension.

 

die welt der silent places. es sind orte von einer ganz eigenen faszination. nicht nur durch ihre stille. es sind orte der entrücktheit, der entschleunigung, der kontemplation. sicher. und das ist schon viel und macht sie für gestresste und überreizte konsummenschen so  wertvoll: inseln in einer tosenden welt.

 

aber es ist noch etwas anderes. und vielleicht ist dieser aspekt noch wichtiger als der inselfaktor.

 

silent places sind vor allem diskrete und selbst genügsame orte. die ihre stille nicht für den menschen zur schau stellen. sie brauchen den menschen nicht. sie zeigen nichts und bedeuten auch nichts. sie sind einfach da und menschenleer.

vielleicht ist das ihre größte qualität: orte, die den menschen nicht brauchen und auch keine funktion (mehr) für ihn haben. die ihre funktion verloren oder aufgegeben haben. ein schwimmbad, das nicht (mehr) zum schwimmen dient. welch großartiger anblick!

 

das schöne daran: man sieht und kann es in allen ecken spüren, wie sie gerade dadurch ihre seele zurück erhalten haben. die aura eines raumes, der nur sich selbst genügt.

 

 

 

 

 



augsburg, 13.februar 2021

shooting in der stadt mit mcm. ein samstag, an dem sonst die menschen in die fußgängerzone, auf den markt oder in die kaufhäuser strömen. jetzt allerdings sind die straßen coronabedingt fast leer. nur die trams und die busse machen unverdrossen, was sie immer machen: sie fahren. es ist also nicht unbedingt das gedränge und getöse, das uns in eine kirche treibt.

die moritzkirche im zentrum der stadt ist für mich viel mehr als der berühmte dom oder die imposante ulrichskirche einer der schönsten kirchenräume, die ich kenne- nicht nur in augsburg.

 

silent places

eigentlich kann man sie nicht suchen, diese orte der stille. man entdeckt sie, mehr oder weniger zufällig. natürlich sind kirchenräume orte des rückzugs, aber nicht unbedingt der stille. barocke kirchen sind laut mit ihrem pomp, auch gotische kirchen sind laut mit ihren ungeheuren spitzbögen. wenn ich an die stille in kirchenräumen denke, dann sind es vor allem das helle licht und die schlichten rundbögen in romanischen kirchen oder einige kreuzgänge in mittelalterlichen abteien.

hier in der renovierten moritzkirche ist es weder das eine noch das andere. und dennoch ein großartiger silent place.

eine ungeheure welle, ein meer der stille. endlich verstummt das geraune, das gerede, das geschwätz. die flut der meinungen, der nachrichten, der fakes zum infektionsgeschehen, zum stand der impfungen, der pannen, der entwicklung von schnelltests und wer sie am schnellsten anwendet, zu grenzschließungen und inwieweit sie die begewungsfreiheit oder gar die menschenrechte einschränken... das alles fragen, die man sich stellen kann und muss, die ich aber nicht mehr hören kann, seit sie in einer bis vor kurzem nicht für möglich gehaltenen dauerbschallung aus allen medien und köpfen sprudeln. hier: nichts davon, nicht der leiseste hauch, nicht der geringste anschein. der kapitalismus schweigt. der konsum schweigt. der krieg. die flüchtlinge...

nur licht und stille.

stille dann auch als gelegenheit, sich nicht nur auf sich selbst und die eigenen ängste und hoffnungen zu besinnen, sondern auch derer zu gedenken, die nicht mehr zu hören sind, die man nicht gehört hat oder hören will: nicht nur die vielen toten und alten in seniorenheimen. nicht nur afrika und die anderen armutsregionen auf der welt, die wohl kaum in den genuss der teuren impfungen oder schnelltests kommen werden, nicht nur die obdachlosen, nicht nur die geistig behinderten... nicht nur die.

 

etwas anderes noch, das zu dieser stille beiträgt: die leere.

aber es ist nicht die abwesenheit, das fehlen, der verzicht auf etwas. die ganze architektur, jedes detail in diesem raum scheint von dem fast klassischen, winckelmannschen willen getragen, einen ort der reinheit oder eben der "edlen einfalt" zu schaffen. es gibt hier keine ablenkung, kein decor, keine eye catcher. nur licht und eine klassische harmonie und schlichtheit der formen.

 

ein idealer ort der besinnung. oder reflektion. oder contemplation. der einkehr. der großen stille.

 

 

foto: mcm

foto: mcm



augsburg, 26.januar 2021

ich mag fotografen, die nicht nur immer neue bilder machen, sondern die auch die bedingungen des genres reflektieren, mit ihnen spielen, seine grenzen ausloten oder auch grenzüberschreitend arbeiten. oder auch fotografen, die konzeptionell arbeiten. DereL ist jemand, der sich ständig in diesen grenzbereichen der fotografie aufhält. In letzter zeit ist mir vor allem seine arbeit VERMESSEN aufgefallen.


ich finde dieses bild großartig (der hintergrund ist von mir und dient alleine dazu, die weißen flächen bei den bildern 2 und 3 zur geltung zu bringen, ohne das querbild zu umrahmen). großartig, weil es in der wahl seines sujets und der mittel ebenso einfach wie effektiv ist.

aber zunächst, was DereL selbst dazu sagt.

 

Vor einiger Zeit stellte sich mir mal wieder die Frage nach der Wiedergabe von Realität in einem Foto. Duane Michals hat sehr gelungene Lösungen in Form von Sequenzen und Doppelbelichtungen gefunden. Ich war aber auf der Suche nach noch weiteren Möglichkeiten von Sequenzen, mit denen ich experimentieren kann. Da ich mich auch für Kunst interessiere, kam mir die Darstellungsweise zur Zeit- und Raumvorstellung in chinesischen Querbildern in Erinnerung. Diese Bilder sind oft so lang, dass sie aufgerollt sind und Stück für Stück abgerollt werden, um die einzelnen Bildteile separat zu betrachten. Das hat zur Folge, dass eine einheitliche Zentralperspektive für das gesamte Querbild wie in einer klassischen Zeichnung oder Fotografie nicht verwendet wird. In diesen Querbildern muss der Betrachter ständig seinen Standort im Bild-Raum und seine Blickrichtung ändern. Gleichzeitig erhält er Hinweise, wie schnell er sich innerhalb eines Bildteiles bewegen soll.Er bewegt sich also in einem vorgegebenen Tempo und Rhythmus durch den Raum im Bild, besser durch die Räume. Wie der Hörer eines Musikstücks muss sich auch der Betrachter eines Querbildes eine bestimmte Zeit nehmen. Gleich einem Musikstück hat solch ein Bild einen Anfang und auch ein Ende, das der Betrachter aber im Geiste selbstständig weiterführen kann. Daher endet das Querbild nicht mit einem Bildmotiv, sondern mit einer leeren Fläche, quasi mit einer Projektionsfläche für die eigenen Vorstellungen aus dem Gesehenen.

 

Das bild endet also nicht an den rändern, sondern geht weiter, weist über sich hinaus, eröffnet einen neuen raum: für das thema, für den betrachter, für die fantasie. es ist dieser frei-raum,  zu dem DereL den betrachter einlädt, der für mich das bild so erfrischend macht.

Ob DereL bei der konzeption an daniel kehlsmanns roman "die vermessung der welt" gedacht hat? hier werden ja gerade die beiden bedeutungen des wortes "vermessen" erzählerisch verarbeitet: 

Die eroberung der welt mit den mitteln der vernunft und wissenschaft. Glanz und zugleich elend des projekts der aufklärung. Oder mit anderen worten: die dialektik der aufklärung. Die unterwerfung der welt unter eine als universal gültige/behauptete vernunft. Die frauen waren übrigens nicht teil dieser Vernunft, die juden und das judentum nicht, die indianer und hereros nicht, die inuit nicht, das un- und unterbewusste nicht… Dennoch eine geschichte der emanzipation, die bald, etwa ein jahrhundert später, sich ins gegenteil verkehrt: Was zuvor mittel der emanzipation war, wird jetzt instrument der unterdrückung. Die herrschaft des rationalismus, der technokratie, big brother, die tücken der gen-manipulation, die andere seite der globalisierung und des internets.

 

Aber wenn auch das thema des querfotos von DereL auf diese dialektik anspielt, erzählen seine drei bilder noch eine andere geschichte. Während auf der oberfläche der baum das objekt der vermessung und scheinbar opfer einer einzäunung ist, eröffnen ihm DereLs bilder einen offenen raum außerhalb der fotografierten wirklichkeit- und damit die freiheit. Mit ganz einfachen mitteln und mit einer feinen lakonie verschaffen sie dem baum einen freiraum, der das genaue gegenteil zu seiner vermessung darstellt. Nur so sind die weißen streifen im zweiten und dritten bild zu verstehen. Auf der einen seite die dünne weiße linie des meterstabes, die im bild liegt, auf der andern die breiten weißen streifen, mit denen der autor den rahmen des fotos sprengt: im zweiten bild oben, im dritten bild oben und auf der rechten Seite. Der junge baum „wächst“ so im 2. bild der freiheit entgegen, während er im 3. oben und auf der seite einen fluchtraum erhält.

 

Während in der realität der baum vermessen und dann vermutlich eingezäunt wird, gibt ihm DereL in seiner arbeit die freiheit zurück. Ein schönes geschenk.

 



 

miesbach, 19.jan.2021

es geht weiter mit corona, harter lockdown; einige sagen, er müsste, angesichts der in der zwschenzeit zuerst in england aber nun auch hier aufgetretenen mutationen, noch härter und vermutlich bis ostern verlängert werden, andere warnen vor einem zu massiven einbruch der wirtschaft, vor sozialen verwerfungen, wie sie etwa die einschränkungen der mobilität nach sich ziehen. für hot-spots mit einer inzidenz von über 200 neuinfektionen pro 100000 einwohnern gilt eine bewegungseinschränkung von 15 km.  umgekehrt haben einige städte und kommunen im bayerischen wald, im oberland und im allgäu, die in den letzten wochen von corona-geplagten und natur- und erlebnishungrigen stadtmenschen regelrecht überrannt wurden, eine einreisesperre für tagestouristen erlassen. die spaltung in covid-geplagte stadtbewohner und ebenso nur etwas weniger eingeschränkte covid-geplagte landbewohner hat hier bereits groteske züge angenommen. ein hiesiger patriot hatte in den ersten januartagen ein plakat aufgestellt, das alle münschner stadtmenschen dorthin zurückwünschte, wo sie eben hingehörten: in die stadt. in der süddeutschen zeitung am 16./17. januar kommentiert gerhard matzig bereits "die geschichte einer hassliebe".

 

 

 

fotografisch eher ergeingnislose tage.
eine fortsetzung der friends´ bay als dialog oder forum scheitert an technischen hindernissen: JIMDO teilt mir mit:  Jimdo Webseiten sind nicht auf mehrere Benutzer ausgelegt.
so furios das letzte jahr begonnen hatte mit der ikea-serie, den verteiler-bildern im augsburger zentrum usw., so fotografisch verhalten zeigt sich dieser jahresbeginn: einige bilder in münchen (tegernseer landstrasse), ein streifzug in augsburg am lech, ein paar bilder im schnee, morgenlicht. bilder, die man nicht unbedingt machen müsste. aber dann ist es doch wieder die faszination des lichts oder der hunger nach bildern...