geert reinders, sky lab #2 (2020)
When the spent sun throws up its rays on cloud
And goes down burning into the gulf below,
No voice in nature is heard to cry aloud
At what has happened. Birds, at least, must know
It is the change to darkness in the sky.
Robert Frost, Acceptance
christian maar, himmel über norwegen (2024)
Mit dem blick zu den wolken ist es ähnlich wie mit dem blick zu den sternen: Wir schauen nach oben und unser blick erhebt sich über die baumkronen, über die skyline der stadt, über den horizont. In den großen, offenen raum.
So tritt unser blick ein in das große wolkentheater. Was er dort zu sehen bekommt, ist fast immer ungeheuer spannend und dramatisch. Großes theater auf alle fälle, manchmal tragödienhaft, manchmal grau und neorealistisch, manchmal Shakespeare und manchmal surreal à la Bob Wilson.
Für die hier gezeigten bilder von Geert Reinders und Christian Maar trifft das genau so zu, wenn auch in unterschiedlicher weise.
Geert Reinders sky lab #2 verfolgt einen ganz eigenen ansatz. Es ist eine serie von 11 wolkenbildern, die alle von dem gleichen oder nahezu gleichen standort aus
gemacht wurden. Auf allen bildern sieht man einen dramatischen wolkenhimmel zu verschiedenen tageszeiten und bei verschiedenem licht.
sky lab ist ein schöner titel, der eine systematische himmelsbeobachtung suggeriert. Reinders will offenbar keine einzelne schöne oder spektakuläre wolkenstimmung
einfangen- auch wenn einige bilder einen solchen wilden wolkenhimmel zeigen. Die serielle komposition vermittelt etwas ganz anderes. Was sich mir in sky lab zeigt, könnte man den phänotyp eines
wolkenhimmels nennen. Die wolken in ihrer eigenart: flüchtige gebilde, atmosphärisch geformt, vom wind modelliert und über den himmel getrieben. Kolossale wolkentürme, wolkenschleier,
wolkenkuckucksheime. Das alles nur für einen augenblick, vorbeiziehende schönheit. Wie die passantin, deren anblick uns auf der stelle gefangen nimmt und uns für immer mit sich zieht:
Un éclair!...Puis la nuit ! Fugitive beuaté/Dont le regard m´a fait renaitre, (Ch.Baudelaire, A une passante)
[Ein blitz ! und dann die nacht! Flüchtige schönheit/ Deren blick mich wieder zum leben erweckt hat (Ch.B., Auf eine passantin]
Flüchtige schönheit, an die sich unsere fantasie und unsere fluchtgedanken rückhaltlos heften.
Großes naturtheater für einen kleinen, vorübergehenden augenblick. Das vermittelt mir sky lab #2. Aber es zeigt diese komplexe und flüchtige schönheit auf eine
unaufdringliche und zurückhaltende art. Ohne himmelblau zwischen den wolken und mit dem verzicht auf farben überhaupt. Aber auch ohne schwarz-weiß malerei. Es will mich nicht hinreißen, es
verlangt von mir kein entzücken. Es vermittelt mir nur eine erfahrung, ein große allerdings: das große wolkenhimmel-gefühl.
Auch himmel über norwegen ist großes wolkenhimmel-drama. Es erregt sofort staunen. Wow- wie schön! Diese farben, dieser wolkenhimmel! Aber einen augenblick später schon erlischt dieses staunen, ist die begeisterung weg. Man hat das schon so oft gesehen, diese sonnenuntergänge mit diesen unglaublichen farben. Das ist das problem bei solchen bildern. Es ist kitsch. „Diktatur des herzens“, gegen die der verstand nichts auszurichten vermag. Natürlich ist das naturtheater solcher wolkenhimmel und sonnenuntergänge an sich spektkulär; man kann sich ihrer faszination einfach nicht entziehen. Will sie festhalten. Und das handy ist immer parat. Klick. Fürs erinnerungsbuch. Foto. Zum herzeigen für die freunde. Klick. Und hier fließt die „zweite träne“, die für Milan Kundera das wesen des kitsches ausmacht: „Wie schön ist es doch, mit der ganzen menschheit beim anblick von solch einem schönen himmel gerührt zu sein“!
Vom kitsch zurück in den wolkenhimmeln, zu den wolkenbildern, in die wolkenkuckkucksheime. ich bleibe lieber im sky lab.
paul adam