pia walser, landschaft bei winterthur (2020)


lars mittelstedt, landschaft in grau (2018)


w.marin: reden wir  heute über landschaftsbilder.

paul adam: schön. gerne.

w.marin: du bist poet. in den letzten jahren hast du eine ganze reihe landschaftsgedichte geschrieben. was reizt dich an landschaft?

paul adam: landschaft ist für mich naturtheater. naturbeobachtung. naturschönheit. es ist immer eine herausforderung, für die erfahrungen in und mit der landschaft bilder zu finden.

w.marin: womit wir beim thema wären.

paul adam: ich meinte natürlich: sprachliche bilder, überhaupt: eine sprache, eine eigene sprache finden, wenn ich mich in bezug zu wiesen, hügel, berge, wolken setze.

w.marin: ich glaube, für die fotografie gilt das gleiche. ich finde landschaftsfotografie extrem schwierig; erst recht für mich, der so sehr am abstrakten interessiert ist. landschaft mit der kamera "einzufangen" oder "abzulichten" geht fast immer schief.

paul adam: ich sehe keienen großen unterschied zwischen poesie und fotografie, wenn es darum geht, einen gültigen, wahren ausdruck für eine erfahrung zu finden. nur ist es bei der sprache einfach viel klarer, dass man eine landschaft nicht unmittelbar in sprache umsetzen kann.

w.marin: du hast recht. aber kommen wir zu den beiden bildern, die ich mitgebracht habe.

 

paul adam: das erste bild, die schweizer landschaft von pia walser, gefällt mir sehr gut.

w.marin: ???

paul adam: ich finde, es hat etwas eigenes, eigenartiges. zunächst eine große dynamik- und gar nicht so sehr wegen dieses wolkengebirges; obwohl es wirklich aussieht, als wäre es ein gebirge und also teil der landschaft.

w.marin: ja, eine sehr schöne komposition.

paul adam: schau dir mal den vorderen teil an, dieses verwischte grün und dahinter das kornfeld, auch verwischt, wie in bewegung. wie gemalt. und dann dieser extrem scharfe, ungeheuer detailreiche schmale waldstreifen: jedes blatt scharf konturiert. was für eine spannung!

w.marin: ja- und die dynamik mit den wolken! großartig, dieser kontrast, die spannung im zentrum des bildes. eine gute entscheidung, dass pia walser eine offnene blende wählt und so diesen schmalen schärfebereich erhält.
paul adam: dieser schmale schärfestreifen ist ja einerseits eyecatcher und zugleich ruhepol. ich finde es gut, dass sie uns nicht zu viel landschaft zeigen will, das ist oft ermüdend und das bild säuft ab! und trotz dieser großen spannung: schärfe-unschärfe, dramatischer wolkenhimmel- strahlt das bild für mich eine große ruhe aus. das ist vielleicht das geheimnis dieses bildes, seine ganz eigene sprache für diese landschaft.

w.marin: was mir auch gefällt: es ist eine ganz gewöhnliche landschaft, keine wüste, keine toscanahügel oder sonstige aufmerksamkeitsanzieher.

paul adam: deine alte gebetsmühle: es kommt darauf an, was man daraus macht- l´aventure au coin de la rue!

 

w.marin: ok. aber lass uns über das andere bild sprechen. ich habe es ausgewählt, nicht, weil es mein ideal eines landschaftsbildes ist...

paul adam: sondern?

w.marin: weil lars mittelstedt etwas macht, das ich sehr reizvoll in der kunst finde: sein foto verhüllt oder versteckt mehr als es zeigt!

paul adam: wie cy twombly oder arnulf rainer... ?

w.marin: ja. obwohl der bezug zu unserem bild etwas hinkt, lars mittelstedt übermalt ja nichts. aber er setzt den morgennebel in dieser landschaft so kunstvoll ins bild, dass nur ein kleiner teil der landschaft sichtbar wird.

paul adam: ja, sehr schön dieses viele weiß und dann die baumgruppe rechts oder oder die paar matschflecken oder kieselsteine am unteren linken rand.

w.marin: und im gegensatz dazu die bäume in der mitte rechts, von denen nur mehr eine anmutung sichtbar ist. was für ein toller  kontrast zu den ganz klaren und plastischen bäumen rechts!

paul adam: wirklich ein interessantes bild! was mir auch gefällt: wie es sich so auf dem schmalen grat zwischen dem noch sichtbaren und dem nichts bewegt. alles droht im nebel bzw. im schnee zu versinken. wenn da nicht die bäume rechts wären, die das bild noch halten, die landschaft vor dem verschwinden bewahren... ich bin nicht sicher, ob man noch mehr weglassen könnte. 

w.marin: es wäre auch ein bild für unsere galerie "das große nichts"!

ich glaube auch, dass das bild nicht mehr funktionieren würde, wenn lars mittelstedt die bäume rechts weggelassen hätte oder wenn sie genauso verschleiert wären wie auf der anderen seite.

 

w.marin: kommen wir zum schluss. dein fazit?

paul adam: die binsenweisheit, dass wenig oft mehr ist, bewahrheitet sich auch bei diesen beiden bildern. ich finde sie außerdem auch sehr poetisch, weil sie eine starke evokationskraft haben.

w.marin: auf jeden fall sind es für mich zwei gute beispiele, wie man das dilemma der landschaftsfotografie lösen/umgehen kann.