DereL, Der Krieg (2022)


DereLs Arbeit "Der Krieg" ist kein Kriegsfoto, obwohl es vom Krieg erzählt.

Es ist eigentlich auch kein Foto, obwohl es aus drei Fotografien besteht.

"Der Krieg" ist vielmehr eine künstlerische Arbeit, eine Erzählung über den Krieg in drei Kapiteln.

 

Und es ist zunächst ein irritierendes Bild.

Ein Bild, das man, wenn man es einmal länger betrachtet, nicht mehr so schnell vergisst.

Dass man es länger betrachtet, dass es den Blick so fesselt- darin liegt  m.E. die große Qualität dieser Arbeit.

 

Das Triptychon zieht sofort den Blick auf sich in dieser Kreuzform und mit der blassen Sepia-Tönung, wie auf sehr alten Fotos. Man sieht also hin und sieht zunächst nicht viel: links ein Feld mit Holzkreuzen, in der Mitte erkennbar ein Soldat aus dem 1.Weltkrieg (dahinter ein fast Grosz-haftes Gemälde), rechts eine junge Frau mit Hut und schwarzem Kleid im Gras.

 

Bei genauerem Hinsehen dann „explodiert“ das Bild: jedes einzelne Bild und natürlich das ganze Triptychon.  Auf dem linken Bild werden zahlreiche Holzkreuze inmitten von anderen Holzpflöcken und Drahtgeflecht erkennbar, wahrscheinlich eine mit Stacheldraht abgesperrte Frontlinie, in der für die Gefallenen Holzkreuze aufgestellt wurden. Dann gibt es immer mehr  Stacheldraht, je länger man hinsieht. Und immer mehr Kreuze.

Auf dem Foto in der Mitte dann ein Soldat, ein 1.Weltkrieg-Soldat, und jetzt erkennt man auch im Hintergrund Schemen von weiteren Soldaten, die einen Teller in der Hand halten und in die Kamera blicken. Und man kann auch erkennen, mehr erahnen als sehen, dass sie sich in einem Schützengraben befinden. Im Hintergrund vllt. ein vierter Soldat. Dahinter Holz- oder Metallstreben, vllt. ein Geschütz, vllt. eingestürzte Stützbalken.

Am klarsten ist das rechte Foto: eine im Gras liegenden junge Frau. Es setzt sich auch farblich in den warmen Sepia-Tönen von den anderen Bildern ab, suggeriert eine idyllische Szene inmitten der Schrecken des Krieges.

 

Das Bild „explodiert“ aber auch, weil sich plötzlich ein Bezug einstellt , ein ganz klarer und umso schockierender und schmerzhafter Bezug zwischen den drei Bildern: in der Mitte die traurigen Akteure in einer Gefechtspause, Atempause, eine karge Mahlzeit zwischen den Gefechten. Links ihr Schicksal: die Angst, die Verzweiflung, die Schreie, der Kamerad, der nicht zurückgekommen ist, der sichere Tod. Rechts ihre Hoffnung, ihr Fluchtpunkt, ihre Sehnsucht: die Liebe, die Verzweiflung, die Wärme, das schöne Leben.

Das ganze Elend eines Soldatenlebens.

 

DereL erklärt, dass er die Bilder unter den Fotos seines Großvaters gefunden hat und sie im Original nicht größer als Kontaktabzüge waren und bis zur Unkenntlichkeit verblasst. Er hat sie „gerettet“, gescannt und digital bearbeitet. Erst in der digitalen Bearbeitung, sagt er, sei überhaupt vage erkennbar geworden, was auf den Bildern zu sehen ist. Er hat sie also für das Familienalbum gerettet. Aber in seiner Komposition auch für uns, für das kollektive Gedächtnis.

Seine Komposition ist jedoch noch mehr als Aufbewahrung. Ich finde, sie geht tief unter die Haut, sie wirkt gewaltig und anhaltend. Sie wirkt wie ein Serum, ein starker Impfstoff gegen das Kriegsvirus.

Das Bild verzichtet auf alles Sensationelle, auf die üblichen Motive, wenn es darum geht, das Elend und die Schrecken des Krieges darzustellen: vom Schmerz entstellte Gesichter, verstümmelte Leichname, Trümmerstädte, ausgebrannte Stellungen oder Panzer usw. Und es erreicht trotzdem ein ungeheures Pathos. Vielleicht mehr, als wenn es diese Gräuel unmittelbar zeigen würde.

 

Das alte Dilemma: die Inkommensurabilität des Grauens. Adorno und sein Verdikt: nach Auschwitz keine Poesie mehr. Und dann doch Celan und die Todesfuge. Oder Jorge Semprun, Leben oder Schreiben. Beispiele, wie es dann doch gehen kann, nicht unmittelbar und nicht direkt und nicht realistisch. Sondern ästhetisch, allein über eine neue Form, die fähig ist, das Unsagbare zu vermitteln.

 

Sicher gibt es auch den realistischen Zugang: die Dokumentation des Grauens,  das Pathos des Mit- Leidens. Das berühmte Foto von Mylai. Oder das nackte vietnamesische Kind von Nick Ut, das schreiend vor einer riesigen  Napalmwolke flieht. Oder die Kriegsfotos von Robert Capa. Oder die Bilder von Salgado.

 

DereLs Bild ist anders. Es erzählt eine andere Geschichte als die des nackten Grauens. Eine intime und berührende Geschichte.

Wichtig für unser kollektives Bewusstsein, für unser Erinnern.

Für unser angegriffenes Immunsystem.

 

w.marin